An dieser Stelle möchte ich ein paar Informationen aufführen, welche den Familienstammbaum der Funakoshis betreffen. Sie haben zwar nicht viel mit der Kampfkunst von Funakoshi Gichin 船越義珍 (1868–1957) zu tun, lassen uns aber ein wenig begreifen, woher dieser Karate-Pionier kam.
Eigentlich handelt es sich beim Klan der Funakoshi um einen Zweig des Hauses Yamada aus Tomari, einer alten Gemeinde im Königreich Ryūkyū. Ihr Stammvater hörte auf den Namen Kume Gushikawa Chikudōn Peichin Gikan 久米具志川筑登之親雲上義貫 (Chikudōn Peichin war sein Titel). Sein chinesischer Name lautete Yung Chao-Ch'ang 容肇昌. Gikan wurde 1540 geboren und spätestens ab 1575 als Beamter eingesetzt.
In der einheimischen Religion des Inselvolkes spielen Priesterinnen, die Nuru, eine bedeutende Rolle als Mittlerinnen zwischen der irdischen und der geistigen Welt. Laut der Inselfolklore stammen sie direkt von einer Gottheit ab. Religion und Politik waren in Ryūkyū eng miteinander verknüpft, was den Nuru Macht und Prestige sicherte. Die höchste Priesterin, die häufig von einer direkten Verwandten des Königs gestellt wurde, bezeichnet man in der Mundart Okinawas als Chifijin. Unser Gikan hatte nun ab 1590 die Ehre, als Leiter des Gefolges im Palast der Chifijin, dem Chifijin-Udun, zu dienen.
Zehn Jahre später, 1600, verstarb er im Alter von sechzig Jahren.
Ausgehend von Gikan tauchen folgende Namen als Oberhäupter der Stammfamilie auf:
- Generation: Gikan 義貫
- Generation: Gijū 義重
- Generation: Giryū 義隆
- Generation: Gishō 義正
- Generation: Gikō 義行
- Generation: Giryō 義亮
- Generation: Gichin 義陳
- Generation: Gishin 義神
- Generation: Gidō 義道
- Generation: Gijo 義恕
- Generation: Gitoku 義篤
- Generation: Gibu 義武
Zu Zeiten des Königreiches bestand der Bezirk Tamagusuku (heute Teil der Stadt Nanjō) im südöstlichen Teil der Insel Okinawa aus fünfzehn kleinen Siedlungen. Eine dieser Siedlungen hieß Funakoshi. Giryū, das Familienoberhaupt der dritten Generation, fungierte als Landvogt (Jitō) von Funakoshi. Sein vollständiger Name lautete dann auch Funakoshi Peikumī Giryū 冨名腰親雲上義隆.
Später wurde er als Landvogt der Gemeinde Tomari eingesetzt. 1638 arbeitete Giryū als Finanzminister und 1640 als Gemeindevorsteher Miyakos. Er wirkte auch noch als Richter.
Zusammengefasst hatten vier Mitglieder dieser Familie die Stellung eines Landvogts inne. Sie waren in Tomari als Gemeindevorsteher und dergleichen tätig. Aufgrund dessen zählten sie in der Gemeinde Tomari zur erlesenen Mittelklasse mit Rang und Namen.
Durch die Zunahme der Adeligen und höheren Beamten in Shuri, wurden allerdings ab 1730 Stellungen in Tomari begrenzt. Dies wirkte sich natürlich auch auf den Funakoshi-Klan aus.
Ein paar Generationen später war ein Mann namens Gifuku 義福 als konfuzianischer Gelehrter [Jusha] zwar im Königreich geachtet, gehörte aber zur unteren Klasse mit Rang und Namen. Er musste sich mit seiner Armut abfinden. Nichtsdestotrotz wurde sein Unterricht geschätzt. So erhielt er beispielsweise zwei oder drei Mal eine Einladung in den Palast der Chifijin, in dem bereits sein Urahn Gikan Dienst tat.
Nachdem Gifuku altersbedingt sein Rücktrittsgesuch einreichte, bekam er in Anerkennung seiner Arbeit in Tera-Chō, Shuri, Haus und Hof geschenkt. Zudem erhielt er im Zuge der Meiji-Restauration im Jahre 1868 finanzielle Zuwendungen.
Gifukus Sohn und Erbe, Funakoshi Gisū 冨名腰義枢, war Alkoholiker, was wahrscheinlich den Verlust von Haus und Hof herbeiführte. Zumindest äußert Gisūs Sohn, der Karate-Lehrer Funakoshi Gichin, eben diese Vermutung.
Familienwappen der Funakoshi
Ein Schüler Funakoshi Gichins erklärte mir, dass der Lehrmeister aufgrund seiner finanziellen Situation keine formelle Garderobe mit dem eigenen Wappen tragen konnte. Stattdessen war er gezwungen, auf geborgte Oberkleider zurückzugreifen. In der Tat können wir auf dem Portrait in seinem 1935 veröffentlichten Buch, "Die Lehrnorm des Karate-Dō", das Wappen des Hauses Oyadomari ausmachen. Bei den Oyadomari handelt es sich um die Familie seiner Mutter.
Wieder ein anderes Wappen ist auf Funakoshi Gichins Portrait aus dem Jahre 1922 zu sehen, das in seiner ersten Veröffentlichung, "Ryūkyūs Faustmethode: Die chinesische Hand", auftaucht. Dasselbe Wappen finden wir auf seinem Portrait, das 1933 in einem Album anlässlich seines 60. Geburtstages abgedruckt wurde.
Abschließend sollte ich noch erwähnen, dass zwei Schreibweisen für "Funakoshi" Verwendung finden, nämlich 冨名腰 und 富名腰. Funakoshi Gichin selbst gebraucht in seinen Veröffentlichungen die Variante 富名腰.
Anmerkungen
Ausführliche Informationen über das Leben und die Lehre von Funakoshi Gichin liefere ich in meinen Büchern "Funakoshi Gichin & Funakoshi Yoshitaka: Zwei Karate-Meister", "Shōtōkan - überlieferte Texte & historische Untersuchungen" (Band I) sowie "Shōtōkan - überlieferte Texte & historische Untersuchungen. Band II".
Bibliographie
G. Funakoshi: Karate-Dō Ichiro (Karate-Dō – Ein Weg), Tōkyō 1976
G. Kerr: Okinawa – The History of an Island People (Revised Edition), Tōkyō 2000
M. Nakamoto: Okinawa Dentō Kobudō. Gairyaku to Shuri-Te-Kei no Karate Kobudō no Tatsujin (Traditionelles Kobudō aus Okinawa – Ein Abriß mit Karate- und Kobudō-Meistern der Linie des Shuri-Te), Uruma 2006
M. Sakihara: A Brief History of Early Okinawa Based on the Omoro Sōshi, Tōkyō 1987
T. Uemura (Hrsg.): Funakoshi Gichin Sensei Kanreki Kinen Shibunshū (Sammlung von Gedichten und Aufsätzen zur Erinnerung an die Feier des 60. Geburtstages von Meister Funakoshi Gichin), Tōkyō 1933
Henning Wittwer