Tōyama Kanken 遠山寛賢 (1888–1966) zählt zu jenen Pionieren, die die Kampfkunst Ryūkyūs zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den japanischen Hauptinseln vorstellten und verbreiteten. Nachdem er 1930 nach Tōkyō gekommen war, veröffentlichte er Artikel über Karate und verfasste später einige Bücher zum selben Thema. Sechs Jahre vor seinem Tod erschien sein Hauptwerk, das den Titel "Großer Schatzspiegel des Karate-Dō" trägt.
"Schatzspiegel" ist hier eine Metapher für ein Handbuch. Unten folgt meine Übersetzung zweier Abschnitte, in denen er sich über den Stock und seine Beziehung zum Karate äußert.
Im Vorwort seines "Schatzspiegels" erwähnt er drei Vorgaben für Personen, die ein zuverlässiges Karate-Buch zu schreiben gedenken. Tōyama will diese drei Punkte mündlich von Itosu Ankō 糸洲安恒 (1831–1915) vermittelt bekommen haben. Tatsächlich stammen sie aus einem alten Zeitungsartikel. Dabei wird u. a. die Einheit von Techniken der leeren Hand (Karate) und Waffentechniken betont:
Der Führer der Restauration des Karate-Dō, mein verehrter Lehrer, Meister Itosu Yasutsune [Ankō], pflegte immer die folgenden drei Bedingungen als Eigenschaften einer Person anzuführen, die versucht, ein verantwortungsvolles Karate-Buch an die Öffentlichkeit zu bringen.
Erstens ist sie ein Fachmann, der mehrere Jahrzehnte hintereinander am Studium des orthodoxen Karate-Dō Okinawas arbeitete, der sich leidend schmiedete und wild übte, der dessen Mark ergründete und der es vermag, dies im Dōjō wirklich lebendig werden zu lassen und [andere] anzuleiten.
Zweitens ist sie ein Kampfkünstler [Bushi], der viele Jahre die seit alters schwesterlich und [wie] zwei Räder [eines Wagens] mit dem Karate-Dō in Verbindung stehenden wunderbaren Fertigkeiten des Bō-Jutsu, des Sai-Jutsu, des Nunchaku-Jutsu, des Tonfa-Jutsu usw. erforschte, der es vermag, ihre Techniken mit Überzeugung anzufangen.
Drittens ist sie ein Mensch, der auch angesichts der chinesischen Faustmethoden [Kenpō] und so weiter beträchtliche Einsichten besitzt, der sie zu demonstrieren vermag.
Dementsprechend widmet Tōyama ein Kapitel seines Werks zwei okinawanischen Waffen, nämlich den Sai und dem Bō (Stock). Zum Stock liefert er folgende Erklärungen ab:
Eine Wunderbare Fertigkeit aus Okinawa – Die Kunst des Stockes
Man schwingt einen Eichenstock von sechs Shaku [ca. 1,82 Meter] nach vorn und hinten, links und rechts, oben und unten, steht allerlei Waffen gegenüber und setzt Techniken des Angriffs und der Verteidigung effektiv und passend ein. Das ist die Kunst des Stockes [Bō-Jutsu]. Indem sie auf einer bestimmten Kampfaufführlinie [Enbusen] mit den Techniken anfängt, hat sie die effektivsten Schwünge. Die Angelegenheit, die aber deren Grundlage bildet, ist dieselbe Atemmethode wie im Karate.
Sie wurden von den althergebrachten Berühmtheiten und Meistern Okinawas als Ergebnis ihrer Bemühungen und ihres Stählens, abhängig von den Gesetzen des Angriffs und der Verteidigung, ersonnen. Diese fortlaufenden Techniken mit dem Stock wurden tüchtig unter den Kampfkünstlern aufgeführt. Und die, die [bis] heute hinterlassen wurden, sind:
- Tenryū no Kon,
- Shūshi no Kon [Shūji no Kon],
- Sakukawa no Kon [Sakugawa no Kon] (Shodan, Nidan, Sandan),
- Yonekawa no Kon,
- Hakuson no Kon [Shirotaru no Kon],
- Sunakake no Kon (zwei Stufen),
- Tsuken-Bō,
- Teruya no Kon,
- Ōshiro no Kon,
- Chibana no Kon
und zwei, drei andere Arten.
Kon [棍] und Bō [棒] sind ganz und gar dasselbe. Trifft man auf den Start der Techniken der Kunst des Stockes, sind es außergewöhnlich heldenmütige und lebhafte Kampftechniken. Indem man die betrachtende Person ist, vermittelt sie einem einen großartigen Eindruck. Es sind heldenhafte und prächtige Kampftechniken, [bei deren Betrachtung] die Hände vor Spannung schwitzen.
So wie es bei der leeren Hand [Karate] das Kumite gibt, gibt es auch in der Kunst des Stockes das von zwei sich gegenüberstehenden Personen aufgeführte Kumibō. Trifft man auf den Start der Techniken mit dem Stock, nehmen beide Hände einen Eichenstock von sechs Shaku und fassen ihn, indem sie ihn oben, in der Mitte und unten in drei gleiche Teile teilen. Was obere Stufe und untere Stufe betrifft, [so] wechselt man sie immer. Man erschüttert den Schwerpunkt seines Körpers nicht und schwingt [den Stock] gemäß den Gesetzen des Angriffs und der Verteidigung.
Anmerkungen
Ausführliche Informationen über den Kampfstock in Ryūkyū (Okinawa) liefere ich in meinen Büchern "Shōtōkan - überlieferte Texte & historische Untersuchungen. Band II" und "Karate. Kampfkunst. Hoplologie".
Bibliografie
S. Takamiyagi et al.: Okinawa Karate Kobudō Jiten (Lexikon des okinawanischen Karate und Kobudō), Tōkyō 2008
K. Tōyama: Karate-Dō Taihōkan (Großer Schatzspiegel des Karate-Dō), Tōkyō 1960
Henning Wittwer