Beliebte Kinofilme wie „The Karate Kid“ prägen seit den 1980er Jahren das Bild von Karate in der Öffentlichkeit außerhalb Japans. Bereits ein paar Jahrzehnte zuvor aber wurde Karate in Japan selbst ein Gegenstand von Spielfilmen. Hierin möchte ich einen der frühsten Auftritte von „Karate“ in einem japanischen Kinofilm betrachten, nämlich das Duell Karate gegen Jūdō in „Sugata Sanshirō – Fortsetzung“ (Zoku Sugata Sanshirō 続 姿三四郎) von 1945.
Kurosawa Akira 黒澤明 (1910–1998) schrieb das Drehbuch für diesen Film und führte Regie. Aus Sicht des Karate macht den Streifen die Tatsache interessant, dass für die Kampfszenen Fachleute aus den entsprechenden Kampfkünsten als Lehrkräfte herangezogen wurden. Als Anleitender für Karate fungierte laut Vorspann Konishi Yasuhiro 小西康祐 (1893–1983). Konishi lernte anfangs vor allem unter Funakoshi Gichin 船越義珍 (1868–1957) Karate, von dem er schließlich eine Urkunde zur Bestätigung des Erreichens der „ersten Stufe“ (Shodan 初段) erhielt. Vermutlich waren aber sein hoher Lehrtitel – „Karate-Jutsu Kyōshi“ –, den er 1937 vom damals mitgliederstärksten japanischen Kampfkunstdachverband, der „Großjapanischen Vereinigung für kriegerische Tugenden“ (Dai Nippon Butokukai 大日本武徳会), verliehen bekam, sowie seine Beziehungen zu dessen anderen hochrangigen Mitgliedern ausschlaggebend für seine Mitarbeit an Kurosawas Werk.
Unsere folgenden Betrachtungen sollen sich mit den Fragen, ob und inwieweit das Karate von Konishi tatsächlich das kämpferische Schauspiel beeinflusste und welches Bild von Karate der Film seinem damaligen Publikum vermittelte, auseinandersetzen.
Kurz zusammengefasst handelt das Stück vom Streben des Helden Sugata Sanshirō nach Meisterschaft im Jūdō, bei dem er Ende der 1880er Jahre Unterstützung von seinem Jūdō-Lehrer, seinen Mitschülern, einem buddhistischen Priester und seiner Geliebten erfährt. Währenddessen erhält er von zwei Karateka eine schriftliche Herausforderung zu einem Kampf in den Bergen. Zum Einstieg bietet es sich an, den Ablauf des Duells selbst nachzuvollziehen.
Beschreibung der Kampfszene
Schneeverwehte einsame Berge bilden die Kulisse der Schlacht Jūdō gegen Karate. Um das Duell austragen zu können, muss der von Rachegelüsten getriebene Karate-Vertreter Eisenherz (Tesshin 鉄心) zunächst einen Hang hinauf durch tiefen Schnee stapfen. Oben angekommen erklärt er dem Jūdō-Vertreter Sanshirō deutlich, dass er ihn mittels „Karate“ qualvoll zu töten beabsichtige.
Als Antwort auf Eisenherz‘ Druck erzeugende Kampfhaltung, die den Anfang der eigentlichen körperlichen Auseinandersetzung markiert, entledigt sich Sanshirō seines Schuhwerks und streckt seine Hände in Richtung des Angreifers aus. Sanshirō entgeht dem ersten Karate-Angriff und wirft Eisenherz nieder. Eisenherz wiederum bringt nun Sanshirō unbeirrt aus der Bodenlage heraus mittels Fußtritts zu Fall. Wiederholte Schreie begleiten den Einsatz von Kampfhaltungen und Angriffstechniken des Karateka Eisenherz. Indessen scheint der Held im Kampfverlauf stetig ruhiger zu werden.
Weiteren Schlägen von Eisenherz vermag Sanshirō auszuweichen, gerät jedoch durch einen doppelten Fußtritt des Karateka aus der Fassung und stürzt rücklings einen Abhang hinunter. Dennoch ist er in der Lage, Eisenherz mit einem Jūdō-Wurf im Fallen mit in den Abgrund zu reißen.
Auf einer tiefergelegenen Ebene des schneebedeckten Gipfels stellen sich die beiden Recken erneut zum Gefecht gegenüber. Abermalige Karate-Schläge blockiert Sanshirō nun mit seinen Händen, setzt zum Konter an, wird jedoch als erneutes Opfer eines Fußtritts von Eisenherz nach hinten in den Tiefschnee geschleudert. Nach einem kurzen Kräftemessen und fortgeführten Karate-Angriffen landet nunmehr Eisenherz infolge eines Wurfs im Schnee.
Eisig heulender Wind, der an den Kontrahenten haftende Schnee und die abgeschiedene Lage lassen erahnen, dass ein zusätzlicher, unmenschlicher Feind an diesem Gefecht teilnimmt – die grimmige Schneelandschaft. Erfrierungstod droht jedem, der nicht mehr von allein in der Lage ist, ihrem Frost zu entkommen.
Eisenherz baut sich nochmals auf und schlägt wiederholt auf einer waagerechten Kreisbahn mit seiner Handkante zum Kopf des Jūdōka, der aber immer auszuweichen vermag. Wie wirkmächtig der Karate-Handkantenschlag ist, zeigt sich beim ersten solchen Angriff, der statt Sanshirō einen armdicken Baumstamm fällt.
Einer letzten Folge von Schreien und Faustattacken begegnet der Held mit stoischer Ruhe und schleudert den Karateka abschließend über seine Schultern und einen Abhang hinunter. Allerdings zeigen spätere Szenen, wie Sanshirō seinen Widersacher in Anwesenheit von dessen Bruder gesundpflegt. Er ließ ihn folglich nicht sterben.
Technische Analyse des Karate-Schauspiels
Konishi Yasuhiro veröffentlichte 1941 und 1942 in einer japanischen Kampfkunstzeitschrift seine „Vorträge zur Großjapanischen Faustmethode Karate“ (Dai-Nippon Kenpō Karate no Hanashi). Diese Quellen erlauben uns, sein damaliges Verständnis hinsichtlich Technik und Lehre des Karate mit dem im Filmduell schauspielerisch nachgeahmten Karate zu vergleichen.
So beschreibt Konishi in seiner Aufsatzserie, dass in seinem Karate-Jutsu verschiedene Teile des menschlichen Körpers zu „Waffen“ (Buki 武器) ausgebildet werden. Unter all diesen Waffen des Karate stellt für ihn die Faust deren „Kern“ (Chūkaku 中核) dar. Konishi nennt eine vollständig geballte Faust, bei der die Köpfe der Mittelhandknochen von Zeige- und Mittelfinger die Kontaktflächen bilden, „Grundfaust“ bzw. „Hauptfaust“ (Honken 本拳). Als Besonderheit betont er, dass sich der Daumen der Hauptfaust des Karate oben auf den zusammengerollten Fingern befindet, während der Daumen der meist im Jū-Jutsu oder Jūdō eingesetzten Faust beim Ballen von den vier anderen Fingern umgriffen wird. Konishis Lehrer Funakoshi bezeichnet dieselbe Faust als „normale Faust“ (Seiken 正拳) und stellte sie seit 1922 ebenso mit außen anliegendem Daumen vor.
Im Film ahmt der Schauspieler diese „Karate-Faust“ oft recht genau nach. Allerdings umschließt er in einer Szene beim betonten Ballen seiner Fäuste den Daumen seiner rechten Hand mit den Fingern.
Eingesetzt wird die Hauptfaust in Konishis Karate zunächst mittels eines „geraden Stoßes“ (Choku-Zuki 直突き), bei dem der Arm die Faust geradlinig nach vorn schnellt, während sich ihr Handrücken von unten in der Ausgangsposition zum Ziel hin nach oben dreht. Diese Art des Stoßens der Faust wird oberflächlich betrachtet ebenso in Funakoshis Lehrbüchern beschrieben. Im Film kann sie so wiedererkannt werden.
Als „übermäßig berühmt“ stellt Konishi eine weitere Körperwaffe des Karate vor – die von ihm „Handsäbel“ (Te-Gatana 手刀) genannte Handkante, deren Kontaktfläche bei ausgestreckten Fingern der Mittelhandknochenbereich der Kleinfingerseite ist. Funakoshi nennt diese Waffe ebenfalls „Handsäbel“ (手刀), spricht sie aber sinojapanisch Shutō aus und informiert 1943:
„Er ist nach der normalen Faust [Seiken] die wichtigste Angriffswaffe.“
Sowohl Funakoshis als auch Konishis Handsäbel weisen einen gebeugten Daumen und nicht vollständig gerade ausgestreckte Finger auf. Vermutlich aufgrund seiner „Wichtigkeit“ im Karate (Funakoshi) und seiner „übermäßigen Berühmtheit“ (Konishi) wird eben dieses Bild eines Karate-Handsäbels im Film zwei Mal hintereinander detailliert als Großaufnahme gezeigt.
In seinem Lehrtext zählt Konishi zudem den Ellbogen (Hiji 臂) zu den Körperteilen, die im Karate in Waffen verwandelt werden sollen. Tatsächlich tauchen unter anderem auch markante Schläge mit dem Ellbogen im Filmduell auf. Dabei ist der Unterarm des Schlagenden senkrecht aufgerichtet. Funakoshi nennt diese Art des Ellbogenschlags in seinem Karate „Aufgerichteter Affenellbogen“ (Tate-Enpi 縦猿臂).
Zu den von Konishi unterrichteten Fußtechniken gehören der „Vorwärtstritt“ (Mae-Geri 前蹴り), unter anderem in den Ausführungen „Aufwärtstreten“ (Keri-Age 蹴上げ) oder auch „Fliegendes Treten“ (Tobi-Geri 飛び蹴り), der „Seitwärtstritt“ (Yoko-Geri 横蹴り) und der „Drehtritt“ (Mawashi-Geri 廻し蹴り). Sie sind augenfälliger Bestandteil der Fertigkeiten des Karate-Vertreters im Film und finden sich ebenfalls in den Büchern von Konishis Lehrer Funakoshi. So bezeichnet Funakoshi den zweifachen Vorwärtstritt im Sprung als „Zwei-Stufen-Tritt“ (Nidan-Geri 二段蹴) und verknüpft einen seitlichen Tritt mit der Fußaußenkante aus der Bodenlage gedanklich mit der Kata Kankū (Kūshankū), in deren Ablauf obendrein der „Zwei-Stufen-Tritt“ geübt wird.
Zur Vorbereitung seiner Angriffe und zwischen einzelnen Kampfhandlungen nimmt Eisenherz verschiedene Haltungen mit Armen und Beinen ein. Solche Haltungen werden von Konishi wie von Funakoshi japanisch Kamae 構 genannt, wobei Konishi Kamae der oberen, mittleren und unteren Stufe unterscheidet. Im Film stellt der Karateka insbesondere Kamae der oberen und mittleren Stufe dar. Eine von ihnen, bei denen sich beide Fäuste auf Kopfhöhe befinden, scheint der ersten Geste aus der Kata Heian Nidan nach Funakoshi nachempfunden zu sein. Da Konishi die „erste Stufe“ (Shodan) in Funakoshis Karate innehatte, dürfte er diese Kata von ihm selbst oder einem seiner Schüler gelernt haben.
Die im Film oft eingenommene Art und Weise mit zwei gleichmäßig gebeugten Beinen und abgesenktem Becken zu stehen, nennt Konishi Shiko-Dachi 四股立ち. Für diesen Fachbegriff aus dem japanischen Ringkampf werden Schriftzeichen genutzt, die nur die Aussprache, nicht aber die eigentliche Bedeutung des Ausdrucks wiedergeben sollen. Vermutlich geht Shiko auf 醜 zurück, das ein „starkes, furchteinflößendes Etwas“ meint. Da es daneben auch „Hässlichkeit“ oder „Unbedeutsamkeit“ bedeuten kann, entsteht eine unangemessene Zweideutigkeit. Jedenfalls wurde diese Art des Stehens in Funakoshis Karate ab Anfang der 1940er Jahre „unerschütterlicher Stand“ (Fudō-Dachi 不動立) genannt. Unter den geschauspielerten Kamae lassen sich darüber hinaus Spuren zweier weiterer Lehrer von Konishi erahnen: Mabuni Kenwa 摩文仁賢和 (1889–1952) und Motobu Chōki 本部朝基 (1870–1944).
Fortwährend gibt der Karateka zudem laute Schreie von sich. Jenes Schreien kopiert wohl auf theatralische Weise den als Kiai 気合 bezeichneten, im weiteren Sinne stimmhaften Vorgang des Ausatmens, den Konishi etwa während einer seiner Solo-Kata mit dem Laut „Wei‘“ („Ei‘“) auszuführen lehrte. Ganz ähnlich beschreibt Funakoshi beispielsweise 1935 an einzelnen Stellen seiner Solo-Kata und Partnerübungen (Kumite) Schreie wie „Ei“ oder „Yă“.
Wie unsere obigen Ausführungen zeigen, beruhen viele der „Kampfhandlungen“ des Karate-Vertreters im Film tatsächlich auf technischen Fertigkeiten aus der echten Welt des Karate vom Anfang der 1940er Jahre. In jenen Jahren war der Karate-Unterricht bereits so ausgereift, dass diese mittels festgeschriebener Fachbegriffe leicht nachvollzogen werden können. Konishis Karate-Anleitungen sowie vor allem Funakoshis indirekter Einfluss als ehemaliger Lehrer von Konishi spiegeln sich folglich auf körperlicher Ebene wider.
Insgesamt wurden auch von Laien leicht als „Kampftechniken“ erkennbare Karate-Techniken mit weiträumigen Bewegungsbahnen und deutlicher Vorbereitung für das Duell ausgewählt. Dadurch entsteht ein durch das Verstehen und Nachempfinden-Können des Gesehenen bewirkter Unterhaltungswert.
Das durch den Film vermittelte Karate-Bild
Beim Betrachten des Duells erlangt das Publikum den Eindruck, dass „Karate“ eine waffenlose Kampfkunst ist, deren Wesensgehalt im Schlagen und Stoßen mit den Gliedmaßen liegt. Jenen Schlägen und Stößen scheint eine beachtliche Gefährlichkeit innezuwohnen, da ein Handkantenschlag lebendes Holz zu spalten vermag. Damit festigt der Film ein damals schon verbreitetes Klischee, das Karate und das Zerhauen von Holz oder Ziegeln zäh miteinander verbindet. Funakoshi versuchte diesem bis dahin mehrfach aufklärerisch entgegenzuwirken, etwa in seinen „Geschichten zum Karate“ (Karate no Hanashi) von 1935, „Plaudereien über Karate“ (Karate Kanwa) von 1942 oder seiner „Einführung in das Karate“ (Karate Nyūmon) von 1943. Hinsichtlich der Waffenlosigkeit schreibt Konishi, dass es sich seine Kunst des Karate zur Hauptsache mache, dem Feind mit bloßen Händen gegenüberzutreten. Demgemäß entspricht der Aspekt der Waffenlosigkeit im Film durchaus Konishis Vorstellungen.
Während des Zweikampfs wirkt die Karate-Seite im Gegensatz zum Jūdō aufgrund von zotteligen Haaren, „wilder“ und dunkler Kleidung sowie lautem Schreien regelrecht barbarisch. Auf solch eine Verschiedenheit zwischen dem eigentlichen Helden und seinem Widersacher treffen wir auch in der kampfkünstlerischen Folklore Ryūkyūs. Jedenfalls wird dieser barbarische Tenor des Karate durch die im Vorspann zu lesende Schreibweise des Worts „Karate“ verstärkt. Im gesamten Film sprechen die Akteure stets von „Karate“, ohne dem Publikum die Bedeutung des Worts zu erklären. Wer jedoch den Vorspann verfolgt, erfährt, dass Konishi beim Filmdreh als Anleitender für die „chinesische Hand“ (Karate 唐手) fungierte. Für aufmerksame japanische Zuschauer handelt es sich bei Karate also offenbar um eine aus China stammende und somit folgerichtig auch barbarische Angelegenheit.
Bereits vor dem Duell wird das Verhalten des Karateka und seines Bruders durch den Jūdō-Lehrer des Helden Sanshirō als respektlos und nicht repräsentativ für die in Japan üblichen Kampfkünste getadelt. Markant schreiend lauert der Karateka Passanten auf, um sie zu verprügeln, und kündigt als Einleitung des Duells an, den Helden mittels Karate qualvoll zu töten.
Entgegen dieser Botschaft des Films betont Konishi beispielsweise:
„Die Kunst des Karate ist der Grundton [Kichō 基調] des japanischen Geistes [Nippon Seishin 日本精神].“
Funakoshi bewarb zuvor sein Karate ganz ähnlich mit Anspielungen auf den „Geist Japans“ und informierte etwa in seinem Artikel „Karate-Dō und der Geist Japans“ von 1937:
„Unser Karate-Dō ist keine Angelegenheit, bei der man von sich selbst aus aktiv zum Kampf herausfordert. […] Selbstverständlich legt es mehr Gewicht auf das Verteidigen als auf das Angreifen, weswegen es seit alters als Kampfkunst der vollkommen tugendhaften Menschen, nein, als Kampfkunst der Gentlemen gelobt wird. In der Kultur der Gegenwart ist es ein wirklich geeigneter Kampfweg [Budō], und dazu stimmt es mit dem Geist Japans überein.“
Im Film wird diesem negativen Karate-Bild, das im Widerspruch zu Konishis Aussagen und denen seines Lehrers Funakoshi steht, in einem kurzen Augenblick entgegengewirkt. Denn vor dem Duell hinterfragt der Jūdō-Meister seinen Schülern gegenüber das Gebaren des Karateka mit der Andeutung, Folgendes erfahren zu haben:
„Karate ist ohne ersten Zug.“ (Karate ni Sente nashi.)
Es war Funakoshi, der diesen Lehrsatz seit seiner Ankunft 1922 in Tōkyō bekanntmachte und verbreitete. Darin wird neben der taktischen insbesondere auch die moralische Lehre seines Karate zusammengeballt. Aufgrund der Kürze der Aussage im Film könnten Zuschauer dennoch den barbarisch auftretenden Eisenherz als Archetyp eines Karate-Adepten im Gedächtnis behalten und seine Rohheit gedanklich mit Karate allgemein verknüpfen.
Ferner ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert, dass 1945 weder Konishi selbst, noch Funakoshi ihre Kampfkunst „chinesische Hand“ (Karate 唐手) nannten. Konishi heißt sie in seinen Texten vom Anfang der 1940er Jahre „Kunst der leeren Hand“ (Karate-Jutsu 空手術), während Funakoshi sie schon seit 1929 immer nachdrücklicher als „leere Hand“ (Karate 空手) und „Weg der leeren Hand“ (Karate-Dō 空手道) bezeichnet. Konishis Bezeichnung „Kunst der leeren Hand“ (空手術) wurde Anfang der 1940er Jahre auch in den offiziellen Veröffentlichungen des Butokukai genutzt.
Da die Handlung laut Vorspann im Jahre Meiji 20, d. h. 1887, spielt, tauchen ein paar historische Ungenauigkeiten auf. Eisenherz ist – wie seine Brüder – ein Sohn der Familie Higaki und er stellt seine Kampfkunst nicht schlicht als „Karate“ vor, sondern als „Karate der Higaki-Strömung“ (Higaki-Ryū Karate 檜垣流カラテ). Doch nach derzeitigem Kenntnisstand führten einzelne Karate-Lehrer erst ab den 1930er Jahren ihr Karate von dem anderer Lehrer unterscheidende, mit dem Suffix -Ryū 流 („Strömung“) versehene Namen ein.
Überdies erhält Sanshirō im Vorfeld zur Vorbereitung auf das Duell eine Schriftrolle mit den Inhalten des „Karate der Higaki-Strömung“. Laut den Karate-Pionieren Funakoshi und Motobu soll es allerdings keine ihnen bekannten Schriften über Karate gegeben haben. Die frühste derzeitige Überlieferungsschrift eines Karate-Adepten stammt von Matsumura Sōkon (19. Jhdt.) und könnte in den letzten beiden Dekaden des neunzehnten Jahrhunderts verfasst worden sein. Daher wäre es zwar denkbar, dass um 1887 eine solche Überlieferungsschrift (Denshō 伝書) entstanden sein könnte. In den gedruckten Texten über Karate, die seit etwa 1900 veröffentlicht wurden, konnte ich aber bislang keine Verweise auf wirklich greifbare, ältere „Karate“-Texte ausfindig machen. Sowohl eine solch frühe, abgrenzende Bezeichnung einer Karate-Strömung als auch die dazugehörige Überlieferungsschrift sind demzufolge Produkte der künstlerischen Freiheit.
„Sugata Sanshirō – Fortsetzung“ liefert seinem Publikum einerseits grobe Einblicke in das technische Repertoire des Karate, andererseits ein größtenteils verzerrtes Bild von dieser Kampfkunst als ungeschliffen und ungezügelt. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs versicherte er seinen Zuschauern zudem, dass nur eine reinjapanische Kampfkunst wie Jūdō zu siegen vermag.
Anmerkungen
Für technische und geschichtliche Hintergründe der Faust im Karate und des Fudō-Dachi sowie für die Entwicklung der Bezeichnung „Karate“ siehe mein Buch „Karate. Kampfkunst. Hoplologie“.
Ausführliche Informationen zu den Lehrtiteln im Karate sowie zur kampfkünstlerischen Folklore Ryūkyūs liefere ich in „Shōtōkan – überlieferte Texte & historische Untersuchungen. Band III“.
Matsumuras Überlieferungsschrift stelle ich vollständig aus dem Japanischen übersetzt und kommentiert vor in „Shōtōkan – überlieferte Texte & historische Untersuchungen" (Band I)“.
Bibliografie
G. Funakoshi: Ryūkyū Kenpō. Karate (Ryūkyūs Faustmethode: Die chinesische Hand), Tōkyō 1922
G. Funakoshi: Karate-Dō Kyōhan (Die Lehrnorm des Karate-Dō), Tōkyō 1935
G. Funakoshi: Karate no Hanashi (Geschichten zum Karate) (Artikel, deutsch in: „Shōtōkan – überlieferte Texte & historische Untersuchungen. Band II“), Tōkyō 1935
G. Funakoshi: Karate-Dō to Nihon Seishin (Karate-Dō und der Geist Japans) (Artikel, deutsch in: „Shōtōkan – überlieferte Texte & historische Untersuchungen. Band III“), Tōkyō 1937
G. Funakoshi: Karate Kanwa (Plaudereien über Karate) (Artikel, deutsch in: „Shōtōkan – überlieferte Texte & historische Untersuchungen. Band III“), Tōkyō 1942
G. Funakoshi: Karate Nyūmon (Einführung in das Karate), Tōkyō 1943
S. Gima / R. Fujiwara: Kindai Karate-Dō no Rekishi o kataru (Gespräche über die Geschichte des neuzeitlichen Karate-Dō), Tōkyō 1986
Y. Konishi: Dai-Nippon Kenpō Karate no Hanashi (Vorträge zur Großjapanischen Faustmethode Karate) (Artikelserie), Tōkyō 1941/1942.
K. Mabuni: Kōbō Jizai. Karate Kenpō. Seipai no Kenkyū (Freies Angreifen und Verteidigen. Die Faustmethode der leeren Hand. Studien über Seipai), Tōkyō 1934.
C. Motobu: Okinawa Kenpō. Karate-Jutsu. Kumite-Hen (Die Faustmethode aus Okinawa: Karate-Jutsu. Band zum Kumite), Ōsaka 1926
Henning Wittwer